„Sommer, Urlaub, Bibel, Gott“ – Gedanken zur Senkung protestantischer Arbeitsmoral

Vielleicht kennen Sie auch diese Frage aus Sommerinterviews: „Liebe Frau Müller, lieber Herr Meier, wenn Sie ein Buch auf eine einsame Urlaubsinsel mitnehmen können, welches wäre das?“ Und je nach Frömmigkeitsgrad von Frau Müller bzw. Herrn Meier kommt dann immer auch wieder die Bibel, das Buch der Bücher. Wobei das mit der Strandkorb-Tauglichkeit der Bibel ja so eine Sache ist.

– Er: „Und: Was liest Du so?“

– Sie: „Die Bibel. Bin schon ziemlich weit.“

– Er: „Oh, krass. Hab ich auch schon von gehört. Steht auf meiner TBR-List. Und: Wie isse denn so geschrieben?“

– Sie: „Recht spannend. Geht viel um Liebe, Sünde und so. Komplexe Story, viele Charaktere. So ein bisschen wie Tolkien, „Herr der Ringe“-mäßig. In der Mitte zieht es sich ein wenig – speziell bei der Chronik. Aber am Ende kriegen sie sich, Gott und Mensch.“

Dass die Bibel sich nicht so unbedingt als leichte Strandlektüre eignet, hängt auch mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen. Die kann man sich vielleicht so ähnlich vorstellen wie das Ausschusswesen der rheinischen Synode. Da gibt es den Theologischen Ausschuss die „Schriftgelehrten“, den Ausschuss für Erziehung und Bildung „die Weisheit“, den Ausschuss für öffentliche Antwort „die Propheten“, … Und jetzt stellen Sie sich einen 1.200 Jahre dauernden, geistgeleiteten synodalen Prozess vor – mit periodisch wechselnder Federführung. Et voilà! Oder mit den letzten Worten Luthers formuliert: „Die Briefe Ciceros kann niemand verstehen, er habe denn 25 Jahre in einem großen Gemeinwesen sich bewegt. Die Heilige Schrift meine niemand genügsam geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert.“

Auch wenn die Bibel sich also mehr für den Pilgerweg als für die Pool-Lektüre eignet, spielt das Thema Urlaub in ihr eine große Rolle. Im Grunde ist die Bibel insgesamt eine Anleitung zur heilsamen Selbstunterbrechung, zur Seelenstille, zur Einkehr vor Gott im Akt des Lesens.

Das beginnt schon gleich am Anfang mit der Schöpfungsgeschichte. In einer Zeit, als das Volk Israel im Exil Halt, Heimat, Hoffnung verloren hat, wird ihm hier Gottes Gegenwart vermittelt: im Rhythmus der Zeit und in der Schönheit der Schöpfung. „Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag …der zweite Tag, …der dritte Tag …“ Der Himmel, die Erde, das Meer, die Sonne, die Sterne: Sie alle sind Gottes Geschöpfe. Sie sind da, damit Pflanzen, Tiere, Menschen, alles was lebt, eine Heimat hat. Und die ganze Schöpfung findet am Ende ihr Ziel darin, dass Gott am siebten Tag ruht von all seinen Werken. „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ Gott segnet die Ruhe, damit wir als Geschöpfe zur Ruhe kommen. Und in der Ruhe zu uns selbst und zu Gott. Die Schöpfungsgeschichte: eine Anleitung zur heilsamen Selbstunterbrechung, zur Einkehr bei Gott im Rhythmus der Zeit.

Wie zentral diese Idee ist, zeigt sich daran, dass sie in die 10 Gebote aufgenommen wurde. „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.“ Das ist zentral für den jüdischen wie christlichen Glauben. „Das Wesen der Religion ist Unterbrechung.“ (J.B. Metz)

Nur in der Begründung ist man sich damals nicht einig geworden. Votierten die einen für den Bezug zur Schöpfungsgeschichte, so waren die anderen für den Bezug zum Exodus, dem Auszug aus Ägypten. Denn auch hier, beim Auszug aus Ägypten und dem Beginn des Volkes Israel spielt die Ruhe eine zentrale Rolle. Die ganze Exodusgeschichte handelt davon, wie Gott uns Menschen vor uns Menschen schützt und an die Seite der versklavten Israeliten tritt. Gott befreit sein Volk aus einem Regime der Ausbeutung, von grenzenloser Arbeit, von Unfreiheit und Ruhelosigkeit.

Die Pointe dessen ist, dass das nicht nur für Israel gilt, sondern für alle, eben auch „für den Fremdling, der in deiner Stadt lebt.“ Ja, selbst für die Tiere, das Land, die ganze Schöpfung. Das Volk Israel als die ersten Freigelassenen in Gottes Schöpfung.

Und weil beides klug und richtig ist, hat man die Zehn Gebote einfach zweimal in die Bibel aufgenommen: in 2. Mose 20 mit Bezug des Sabbats auf die Schöpfung und in 5. Mose 5 mit Bezug auf den Auszug. Es ist wichtig, die heilsame Unterbrechung doppelt zu betonen, weil wir als Menschen eine tiefe Neigung haben, uns selbst und andere zu erschöpfen und unserer Gott gegebenen Freiheit und Ruhe zu berauben. Wir gehen leicht unter in den Sorgen um alles, was noch zu machen ist: „Muss nur noch kurz die Welt retten … noch 148 Mails checken.“ (Tim Bendzko)

Und unsere Frömmigkeit trägt manchmal selbst dazu bei: Wenn der Eifer um die Kirche uns selber auffrisst. Wenn wir meinen, ohne uns ginge zwar nicht gleich die Welt unter, aber doch die rheinische Kirche. Wenn wir anderen Wein predigen und selber Wasser trinken. Wenn sich die sorgenvolle Stimme der Martha in mir meldet. „Wie soll das alles klappen: mit dem Mitgliederschwund, den Gebäuden, den Veränderungen und überhaupt mit allem? Siehst Du denn nicht, Herr, wie das Boot bei uns vollläuft?“ Das nennen wir dann protestantische Arbeitsmoral.

Da ist gut auf die Stimme dessen zu hören, der die Welt, unsere rheinische Kirche und auch mein kleines Leben in seinen Händen hält:

„Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Sorge hat.“

– „Tu du das Deine und überlass den Rest ruhig mir.“

„Das Retten der Welt und das Sorgen sind Gottes Sache.“

„Es ist gut, dass du arbeitest und gut, dass du ruhst.“

„Denn den Seinen gibt‘s der Herr im Schlaf, am Sabbat und auch im Urlaub.“

Daher zum Schluss: Sieben theologische Tipps für den Urlaub:

1. Du bist Mensch und nicht Gott.

Und wenn Gott ruht, solltest du es auch. Genieße deine endliche Freiheit. Freu dich an der Schönheit der Schöpfung. Geh sorgsam mit dir selbst um: mit deiner Seele, deinem Körper, deinem Geist. Sie alle sind endlich und brauchen Ruhe.

2. Es gibt kein Paradies jenseits von Eden. Auch nicht im Urlaub.

Entspann dich, wenn nicht alles perfekt ist oder nach Plan läuft. Manchmal ist der Umgang mit dem Scheitern im Nachhinein sogar das Interessanteste. Gott schreibt auf krummen Linien oft besondere Geschichten.

3. Der Mensch im Stau neben dir ist auch ein Mensch, ein geliebtes, wunderbares Geschöpf Gottes wie du.

Lass dich von der Tonne Blech um ihn herum nicht davon ablenken – und auch nicht durch seine suboptimale Fahrweise. Und wenn er sich dennoch blöde vordrängelt: Vielleicht hat er den Urlaub noch nötiger als du. Wer das noch nie getan hat, drücke zuerst auf die Hupe.

4. Was deine kleinen technischen Hilfsmittel betrifft: Es ist wichtig, die Rollen zu klären: Sie sollen dir dienen. Nicht du ihnen.

Schalt einfach mal ab. Pflücke den Augenblick. Von Mona Lisa, Niagarafall, Pyramiden gibt es übrigens schon Fotos. Du brauchst dir kein Bildnis von allem zu machen.

5. Egal, wo du hinfährst oder bist, Gott erwartet dich.

In der Weite des Meeres, in der Stille der Berge, auf deinem Balkon oder im Garten, und auch im Angesicht des Menschen, der dein Hotelzimmer macht oder dein Essen bringt. Urlaub ist eine Chance, Gott neu zu entdecken.

6. Wenn du reisen willst, reise.

Wenn du lesen willst, lies. Wenn du wandern, schlafen, schwimmen, essen, bummeln, feiern willst, tu es. Sei gesegnet in dem, was du tust, und in dem, was du lässt.

7. Du bist frei. Erstgeborener von Gottes neuer Schöpfung.
Das ist deine Bestimmung. Lebe so, dass es ohne Gott keinen Sinn ergibt. Und dass andere etwas von der Freiheit Gottes spüren.


Theologische Impulse (143) von Präses Dr. Thorsten Latzel

Weitere Impulse: www.glauben-denken.de
Als Buch: www.bod.de
Bild: Pixabay

  • 13.7.2024