„Grenze der Digitalisierung ist erreicht, wenn die persönliche Freiheit beschädigt wird“

DREI FRAGEN AN . . . Oberkirchenrätin Henrike Tetz, Leiterin der Bildungsabteilung im Landeskirchenamt, zur Digitalisierung im Bildungsbereich und zum Einfluss Künstlicher Intelligenz. Dazu richtet die rheinische Kirche im Juni ein Symposium aus.

Frau Tetz, muss evangelische Bildungsarbeit digitaler werden?
Henrike Tetz: Evangelische Bildungsarbeit ist in der rheinischen Kirche schon seit einiger Zeit digital unterwegs, zum Beispiel in der Schule für Circuskinder, der Jugendarbeit oder in den Akademien. Natürlich sind noch viele religiöse, ethische und auch didaktische Fragen offen: Wie schätzen wir beispielweise den Einsatz von Algorithmen in der Bildungsarbeit ein? Gleichzeitig schreitet die technische Entwicklung weiter voran. Was zeichnet sich für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Augmented Realtity bereits ab? Und wie positionieren wir uns dazu? Dies müssen wir auch in der Kirche diskutieren.

Ab welcher Altersstufe beginnt digitale Bildung? Sollen zukünftig Roboter in evangelischen Kitas Kindern beim Lernen helfen?
Tetz: Digitale Medien gehören zur Alltagswelt der Kinder und zu ihrer Kinderkultur. Sie sehen ihre Eltern am Handy und ihre älteren Geschwister am Computer, das macht sie neugierig und interessiert. Ab dem Kindergartenalter gehört deshalb auch digitale Bildung dazu. Entscheidend ist, wie Kinder ihre Erfahrungswelt durch den Einsatz digitaler Medien positiv erweitern können. Auf einer Entdeckungsreise im eigenen Umfeld Filme und Fotos machen und andere zur Besichtigung einladen – das können solche Möglichkeiten sein. Wichtig scheint mir, dass die Medienerfahrungen mit Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte spielerisch, auch analog, verarbeitet werden. Der Einsatz von Robotern in der Elementarpädagogik ist bei uns noch eher selten, anders als in Amerika und Asien. Das ist ziemliches Neuland, weil die Wirkung der Interaktion von Mensch und Maschine noch nicht so gut erforscht ist. Kinder sind besonders vulnerabel, gerade auch auf der Beziehungsebene. Da müssen wir sehr aufmerksam sein. Manche Studien weisen darauf hin, dass Kinder mit Förderbedarf im sprachlichen oder sozialen Bereich durchaus von Robotern als Lernpartnern profitieren. Hier könnte also eine Chance liegen, Bildungsteilhabe gerechter zu gestalten.

Soziale Netzwerke setzen auf virtuelle und erweiterte Realität. Welche Chancen sehen Sie in dieser Technologie für Bildungsprozesse? Kann man als Avatar besser lernen? Gibt es Grenzen der Digitalisierung im Bildungsbereich?
Tetz: Erweiterte Realität wird als ein unterstützendes Mittel zur Welterschließung in der Bildungsarbeit schon eingesetzt. Dabei können auch neue kommunikative Situationen entstehen, in denen es zu berührenden Aha-Effekten kommt, wie zum Beispiel beim Einsatz interaktiver Hologramme von Zeitzeugen des Holocaust. Wie Menschen lernen, ist individuell sehr verschieden und hängt auch von den Bildungsinhalten ab. Mit digitalen Medien zu arbeiten ist dabei ein Weg, aber sicher nicht der einzige. Denn digitale und analoge Lebenswelten beeinflussen sich wechselseitig.

Nach evangelischem Verständnis hat jeder Mensch als Geschöpf Gottes eine unantastbare Würde. Sie macht ihn frei, sich selbst und andere anzunehmen, die Welt zu erschließen und sie verantwortlich zu gestalten. Die Grenze der Digitalisierung ist sicher dann erreicht, wenn die Freiheit beschädigt wird, persönliche Gaben zu entfalten, sie wertzuschätzen und eigene Haltungen im Leben zu gewinnen. Deshalb ist ein kritisches Hinschauen wichtig, wenn mit digitalen Tools Erfolg oder Nichterfolg in Bildungssettings bemessen werden soll oder automatisiert Lernwege entstehen. Da ist immer zu fragen: Wem dient das? Hilft das Menschen auf ihrem persönlichen Bildungsweg?

  • 6.4.2022
  • Ralf Peter Reimann
  • ekir.de