Auf Vorschlag der Evangelischen Jugend im Rheinland hat sich die Landesynode am Dienstag dem Thema „Rassismuskritik“ angenommen – in einem völlig neuen Format. Mit dabei waren auch 50 junge Menschen aus der Region.
Es ist voll geworden im Plenarsaal des Tagungshotels in Bonn. In anderen Jahren standen am Dienstagnachmittag klassische Ausschüsse auf dem Programm. Aber an diesem Dienstag haben die Synodalen Besuch bekommen: 50 junge Menschen aus der evangelischen Jugendarbeit, aus Schulen und Studierendengemeinden sind an diesem Nachmittag auf Einladung der Evangelischen Jugend im Rheinland zur Synode gekommen – um zuzuhören, mitzureden und ihre Perspektiven anzubieten. Das neue Konzept ist ein Ergebnis der Jugendsynode 2019: Regelmäßig soll nun die Evangelische Jugend ein Thema in das neue Format mitbringen – statt des klassischen Jugendberichts. Für den Auftakt haben sich die jungen Menschen für das Thema „Rassismuskritik“ entschieden. „Rassismus prägt uns tiefer als wir denken“, sagt Carla Peekhaus, stellvertretende Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland. Auch in der Jugendarbeit im Rheinland seien People of Color kaum in verantwortungsvollen Aufgaben zu finden. Dieser Problematik wolle man dringend auf den Grund gehen.

„Wie können wir überhaupt über Rassismus sprechen?“
Am Dienstag will die Synode aber erstmal der Frage auf die Spur kommen: „Wie können wir überhaupt über Rassismus sprechen?“ Dafür hat sie sich mit Prof. Dr. Paul Mecheril von der Universität Bielefeld Unterstützung geholt. Der Wissenschaftler verwirft kurzerhand sein Manuskript und seine Powerpoint-Präsentation. Zu viel scheint ihm auf der Seele zu liegen. „Rassismus tötet!“, sagt er. Und: „Wir stehen nicht außen vor. Wir sind nicht aus dem Schneider. Wir sind involviert.“ Und: „Wir müssen das Sprechen über Rassismus lernen. Wir müssen Rassismus thematisieren.“
Intensiver Austausch in Dialoggruppen
Im Publikum sitzen an diesem Abend auch Gijun (18) und Mykhailo (17) vom evangelischen Theodor-Fliedner-Gymnasium in Düsseldorf. Sie haben die Einladung der Evangelischen Jugend angenommen und versuchen nun, den Gedanken des Professors zu folgen. „Es war mir wichtig, die Perspektive eines Fachmanns zu diesem Thema zu hören“, wird Gijun später sagen. Es sei wichtig für ihn, verschiedene Perspektiven zu hören. Genau deswegen schließt sich an den Vortrag dann auch ein Gespräch in 25 kleinen Dialoggruppen an. Die Moderatoren wurden speziell geschult. Und der geschützte Raum soll den Teilnehmenden Mut machen, sich am Gespräch zu beteiligen. Eine Stunde lang sprechen Jugendliche und Synodale, Kirchenvertreter*innen und Gäste über ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus. Und sie kommen darüber ins Gespräch, was die kirchlichen Strukturen für Veränderungen brauchen.

Rassistische Rufe auf dem Sportplatz
Als Gijun und Mykhailo sich anschließend zurück auf den Weg in den Plenarsaal machen, sind sie noch angeregt im Gespräch. „Wir erleben Rassismus in unserem Alltag“, erzählen die beiden Schüler. Auf dem Sportplatz, wenn Fehler mit rassistischen Rufen quittiert werden. Oder mitten auf der Straße. In der Dialoggruppe hätten sie von anderen Erfahrungen gehört. „Und manchmal haben mich die Perspektiven der Erwachsenen auch überrascht“, sagt Gijun, „sie bringen einfach andere Erfahrungen mit und es ist gut, dass wir hier darüber sprechen können.“
„Ich habe hier heute Abend ein richtiges Kribbeln im Bauch“
Gerade kommen auch Carmen und Hasna mit einer Freundin aus ihrer Dialoggruppe. „Wir sind hier, weil wir das Thema wichtig finden. Und weil wir wissen wollten, wie dieser Diskurs hier geführt wird“, sagt Hasna (23). Ihre Freundin nickt: „Und in dieser aktuellen politischen Situation müssen wir erst recht darüber sprechen“, sagt die junge Frau und streicht gedankenverloren über ihr Kopftuch. Es ist also der richtige Zeitpunkt? „Man könnte auch fragen: Warum erst jetzt?“, sagt Carmen. Eine so große Institution wie Kirche habe Verantwortung und Wirksamkeit, ist sie sich sicher. Sie bringe so viele verschiedene Menschen zusammen. „Ich habe den Eindruck, wir sprechen hier noch über die Wurzeln“, sagt die 23-Jährige. Aber sie sei froh, dass die Synode dafür auch für die Gäste geöffnet worden sei. Und dann macht sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht breit: „Ich habe hier heute Abend ein richtiges Kribbeln im Bauch“, sagt sie, „denn es bewegt sich etwas. Hier bricht etwas auf.“ Die Freundin neben ihr runzelt die Stirn. „Ich hoffe das“, sagt sie vorsichtig, „aber Worten müssen auch Taten folgen.“

Der Abend hallt nach
Der Abend geht an den meisten Synodalen und Gästen nicht spurlos vorbei. „Die jungen Leute sind mir heute schnell zu Vorbildern geworden“, erzählt Jugendfparrerin Tuulia Telle-Steuber. Von „Generationenkonflikt“ keine Spur, bescheinigt auch Dezernent Dr. Stefan Niewöhner. Auf den Zetteln an den Stellwänden haben die Teilnehmenden Ideen notiert: Schulungen zum Thema wünschen sie sich und eine Stärkung der evangelischen Jugendhäuser. Jeder scheint etwas mitzunehmen. Für Sarah Vecera von der Vereinten Evangelischen Mission ist es eine große Portion Hoffnung, mit der sie die Synode verlässt. „Als ich heute hier ankam, begrüßte man mich mit: Ach Sarah, heute geht es ja um dein Thema“, erzählt sie. 35 Jahre lang sei es immer „ihr“ Thema gewesen. Sie sei die erste People of Color in der Kreissynode gewesen, dann in ihrem Job, dann im Kirchentagsteam. „Heute habe ich eine Ahnung bekommen, dass es nicht mehr nur mein Thema ist. Sondern unser aller Thema. Ich bin sehr stolz auf meine Kirche, dass wir diesen Weg in diesen Zeiten gehen.“ Gijun (18) und Mykhailo (17) klatschen in ihrer Stuhlreihe. Es war ein langer Tag für die Schüler aus Düsseldorf. Aber sie sind sich einig: „Er hat sich gelohnt.“
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