Pressemitteilung

Weihnachtsbild in Hangelar

  • Nr. Pressemitteilung/2025
  • 23.01.2025
  • 14615 Zeichen
  • Matthias Meinecke (Pastor im Ehrenamt)

Das Weihnachtsbild in der Christuskirche
aus der Weihnachtspredigt von Herrn Pastor i.E. Matthias Meinecke

Als Kind durfte ich schon früh meinen Eltern beim Schmücken des Weihnachtsbaumes helfen. Da legte ich einen unglaublichen Eifer an den Tag. Alles, was mir in die Finger kam, von der großen Kugel bis hin zu den zahllosen Weihnachtbasteleien aus Kindergarten und Grundschule mußte an den Baum. Ich gab erst dann Ruhe, wenn auch das letzte Stück aus der Weihnachtsdekoration einen Platz im Baum gefunden hatte. Meine Eltern hielten ihn zwar für überladen, doch das störte mich nicht. Ich liebte den reich geschmückten Tannenbaum.
Umso weniger liebte ich es, wenn es wieder ans Abschmücken ging. Meine Sorgfalt ließ dabei zu wünschen übrig, doch es wurde aufmerksam darüber gewacht, daß die gesamte Weihnachtsdekoration wieder in die seit Generationen dafür vorgesehenen Pappschachteln und Kartons kam. Während ich das Schmücken des Baumes nie als Arbeit empfunden hatte, erschien mir das Abschmücken wie eine nicht enden wollende Mühsal. Wie bedauerte ich es, wenn der leere Baum dann wieder zum Abholen am Straßenrand lag. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Frau Messing, wenn Sie den Baum in der Christuskirche wieder abschmücken werden. Vielleicht geht es Ihnen ja dann wie mir, und Sie sind ein wenig traurig darüber, daß die schöne Zeit schon so schnell wieder vorbei ist.

Doch während in den Wohnzimmern höchstens ein paar übersehene Tannennadeln an den weihnachtlichen Glanz erinnern, wird es in unserer Christuskirche auch ohne Baum und Dekoration das ganze Jahr über weihnachtlich bleiben. Das weihnachtliche Gemälde hinter mir wird hängenbleiben.

Weihnachtsbild der Christuskirche

Abgebildet darauf ist die Anbetung der Hirten in Bethlehem. Sie werden mir sicher zustimmen, daß es keinen Sinn macht, dieses Gemälde in das Abschmücken der weihnachtlichen Kirche mit einzubeziehen. Unser ehemaliger Küster Uli Lauff meinte, auch wegen des schweren Barockrahmens sei es eine unglaubliche Arbeit gewesen, das Bild anzubringen. Daher würden ihn keine zehn Pferde dazu bringen, es jemals wieder abzuhängen. Und da man es nicht einfach in Schachteln oder Kartons verstauen kann, ist es eben am besten an seinem gewohnten Platz aufgehoben. Daher hängt das Kunstwerk als Geschenk des ehemaligen Gemeindedirektors Ulrich Sytkuss an unsere Gemeinde nun seit über zwanzig Jahren im Kirchenraum. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Über manches, was ich als Jugendlicher einst so in den Weihnachtsbaum hängte, schüttelten meine Eltern den Kopf. Das gehöre nicht an den Baum, weil es nicht schön und erst recht keine Kunst sei.
Ich aber fand die kritisierte Dekoration schön und bestand darauf, diese anzubringen.
Nun hat jeder seine eigene Meinung dazu, was schön ist und was Kunst ist. Was nun das Gemälde betrifft, gab es bei der damaligen Befragung in der Gemeinde, ob man es im Kirchenraum anbringen soll, durchaus auch ein paar kritische Stimmen. Einige äußerten, ihnen gefalle das Bild nicht besonders oder überhaupt nicht. Was hätten sie wohl gesagt, wenn es sich bei diesem Gemälde nachweislich um einen Rembrandt oder Dürer gehandelt hätte?
Doch der Künstler ist nicht bekannt. Rechts unten im Bild findet man normalerweise eine Unterschrift, die auf den Maler hinweist, doch ich habe dort nichts entdecken können. Eigentlich seltsam, denn es handelt sich, wie mir versichert wurde, um ein Gesellenstück, um ein Meisterbild. Wenn der Künstler mit diesem Werk damals vom einfachen Gesellen zum Meister aufstieg, dann wäre dieses Gemälde seine Prüfungsarbeit gewesen. Die Masterarbeit wird heute gebunden und auf dem Titelblatt natürlich mit dem eigenen Namen versehen. Schließlich kann man mit Recht stolz auf das sein, was man in mühevoller Arbeit geleistet hat. Falsche Bescheidenheit wäre da völlig fehl am Platz. Doch der Schöpfer dieses Gemäldes zieht es vor, unbekannt zu bleiben.
Aus Bescheidenheit? Ich denke nicht. Wohl eher aus Ehrfurcht vor der Größe des dargestellten Themas. Denn schließlich geht es nicht um eines der vielen neugeborenen Kinder in dieser Nacht vor über 2000 Jahren, sondern um das eine, um das göttliche Kind. Um das Kind, auf das sich die
Hoffnungen der Menschen richten, wenn sie, wie jedes Jahr vom Frieden auf Erden singen. Die Welt scheint dann für einen Moment still zu stehen und voller Staunen auf den Einbruch des göttlichen Lichtes in den dunklen Alltag zu schauen. Für einen Moment scheinen Haß, Eifersucht, Neid und Gewalt zu verschwinden. Für einen Moment wird der Mensch klein vor Staunen und sieht sich selbst nicht als das Maß der Dinge. Warum sollte der Maler dann nicht auch hinter all diesem Wunderbaren zurückstehen wollen?
Ein noch viel größeres Gemälde als das hier in der Christuskirche wird uns in der Weihnachtsgeschichte vor Augen gestellt. Sie wird zwar dem Evangelisten Lukas zugeschrieben, aber sie ist doch das Werk eines unbekannten Meisters. Schon in frühchristlicher Zeit wußte man, wie gute Werbung funktioniert. Mit bekannten Namen machte man schon damals gerne Werbung, um auf Produkte neugierig zu machen. Doch am Ende entscheidet noch immer die Qualität des Inhalts. Berührt mich das Weihnachtsevangelium, oder läßt es mich gänzlich kalt? Glaube ich ernsthaft an das, was darin gesagt wird? Oder halte ich das alles nur für Kinderkram? Hat Weihnachten für mich das ganze Jahr über eine Bedeutung, oder ist für mich spätestens dann alles erledigt, wenn der abgeschmückte Baum am Straßenrand liegt und auf die Müllabfuhr wartet? Erreicht mich der Evangelist Lukas, oder wer auch immer sich hinter diesem Namen verbergen mag, mit der Botschaft vom Frieden auf Erden?
Diese Fragen stellten sich zu allen Zeiten. Ein Pfarrer meinte einmal zu mir, den Weg nach Bethlehem zur Krippe müsse man jedes Jahr aufs Neue gehen. D. h. man müsse sich jedes Mal mit den eigenen Fragen und Zweifeln, die dieses Ereignis aufwirft, auseinandersetzen. Vor dieser Aufgabe stand auch der unbekannte Meister zu seiner Zeit.
Ich lade Sie und Euch ein, gemeinsam mit mir in dieses Gemälde einzutauchen und seiner Auseinandersetzung mit dem großen Thema zu folgen. Aus kundiger Quelle habe ich erfahren, daß man mit dem Betrachten eines Bildes immer links oben beginnen solle. Wenn wir diesem Rat folgen, dann sehen wir ein Lamm. Es sitzt auf den Schultern eines Mannes. Bei diesem handelt es sich natürlich um einen Hirten. Die Hirten bringen zur Anbetung des göttlichen Kindes ihre Schafe und Lämmer mit. Das kennen wir aus vielen Krippendarstellungen. Doch das Lamm weist uns auf etwas Wichtigeres hin.
Wenn man von links oben nach rechts unten in Gedanken eine Diagonale zieht, versteht man diesen Hinweis. Lamm und Kind werden durch die gedachte Linie miteinander verbunden. Verstärkt wird diese Verbindung noch durch die Handbewegung des anderen Hirten, der auf das Kind in der Krippe deutet. Damit wird etwas angedeutet, was die Mutter Maria wohl schon kurz nach der Geburt dieses Kindes beschäftigt haben mag. Sie sieht nicht wie eine restlos glückliche Mutter aus.
Und auch Josef, auf seinem Stab gestützt, schaut eher nachdenklich auf dieses Kind herab.
Tatsächlich gibt es bei der Geburt eines Kindes nicht nur das absolute Glück über das neue junge Leben, es stellen sich auch nachdenkliche Momente ein. Wie wird die Zukunft dieses Kindes aussehen? In was für einer Welt wird es einmal leben? Wird die Welt gut zu ihm sein, oder wird es an ihr leiden und zugrunde gehen?
Was die Zukunft des göttlichen Kindes angeht, gibt uns das Lamm einen eindeutigen Hinweis. Es ist das Opferlamm. Es wird einmal in dieser Welt viel Liebe geben, aber auch an ihr leiden und von der Welt getötet werden. Dieses Kind wird als Erwachsener einmal von sich sagen, der Menschensohn habe keinen Platz, wo er sein Haupt hinlegen könne. Darauf weist das Bündel am rechten unteren Bildrand hin. Es scheint sich um ein sorgfältig zusammengeschnürtes Reisegepäck, womöglich um Decken, zu handeln. Weder Maria noch Josef haben sich die Mühe gemacht, dieses Bündel auszupacken und sich wohnlich einzurichten. Die heilige Familie hat keine feste und sichere Bleibe. Für einen Moment mag die Welt in der heiligen Nacht den Atem anhalten. Für einen Augenblick mag der Friede auf Erden greifbar nahe sein! Doch der Alltag spricht seine eigene Sprache. Wir wissen aus der Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte von Flucht, Vertreibung und Tod. Von Herrschern, denen das Leben eines Menschen nicht viel wert ist. Die zum Erhalt ihrer Macht bereit sind, über Leichen zu gehen.
Friede auf Erden? Noch dazu durch ein schwaches Kind? Wenn wir die Diagonale von rechts unten nach links oben zurückgehen, gelangen wir wieder zu den beiden Hirten. Mag der eine mit der Hand auf das Kind deuten, gehen die Blicke der Beiden doch woanders hin. Sie schauen sich so an, als unterhielten sie sich ungläubig über dieses Ereignis und setzten nicht viel Hoffnung auf das Kind: „Dieser Winzling da unten soll etwas ausrichten? Da erwarten wir von Gott schon etwas mehr! Laß uns nach Hause gehen! Das hier können wir getrost vergessen!“ Die beiden Männer scheinen nicht vom Licht dieses Kindes angesteckt zu sein, denn der Maler stellt sie in reichlich dunklen Farben dar.
Während die beiden Hirten das Kind nicht anschauen, sollten wir doch noch einmal einen Blick in die Krippe wagen. Selbst wenn wir die Zweifel dieser gestandenen Männer teilen sollten. Zunächst mag man Mitleid mit dem Säugling haben, der völlig nackt der Kälte ausgesetzt ist. Ist Maria eine Rabenmutter, wenn sie das Kind einfach so aufdeckt? Und auch der Vater hätte ja einmal etwas sagen können! Doch es handelt sich nicht um eine unverantwortliche Nachlässigkeit der Eltern. Der nackte Säugling ist als Zeichen zu verstehen. Er ist nicht fest bis zum Hals umwickelt, wie wir es aus Krippendarstellungen kennen. Das fest umwickelte Kind soll an das Opferlamm erinnern, das stumm und wehrlos in den Tod geht. Aber dieser Säugling ist ganz agil, strampelt mit Armen und Beinen und macht ganz und gar nicht den Eindruck eines hilflosen Opferlammes. Er ist quicklebendig.
Seine Nacktheit ist darüber hinaus Zeichen für Unschuld und Reinheit. Das erste Menschenpaar war nackt. Die alte Geschichte von Adam und Eva ist bestimmt von der Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Menschen mit ihrem Handeln, Denken und Fühlen mit Gott in Einklang leben. Und damit im Frieden mit sich, mit den anderen, mit den Geschöpfen und mit der Natur. Doch von diesem paradiesischen Frieden sind wir weit entfernt. Kann dieser nackte Säugling ein Zeichen für den Beginn einer neuen Zeit sein? Für eine Zeit, in der Menschen nicht mehr aneinander schuldig werden, sich nicht mehr verstellen, sondern offen und ehrlich miteinander umgehen? Ohne etwas zu verheimlichen, ohne zu lügen, ohne einander zu beschuldigen und zu schädigen? Der Säugling ist in seiner Nacktheit wie ein unbeschriebenes Blatt. Doch Gott will auf diesem unbeschriebenen Blatt, mit diesem Säugling, eine neue Geschichte mit uns Menschen schreiben.
Vielleicht braucht man, um dies zu glauben, eine ganze Menge kindliches Vertrauen. Ja, womöglich muß man sogar wieder wie ein Kind werden. Daß dies möglich ist, sehen wir an dem dritten Hirten. Der Maler hat dessen Gesicht im Gegensatz zu den Gesichtern seiner Hirtenkollegen hell gezeichnet. Dieser Hirte scheint vom Glanz des göttlichen Kindes angesteckt zu sein. Er lächelt und sieht ein bißchen entrückt aus. Wer so verzückt lächelt, ist von einer Sache vollkommen ergriffen.
Nun ist das Gesicht dieses Hirten noch ziemlich jung. Manch Älterer wird ihm vielleicht sagen: „Wie kannst Du nur? Mach Dir doch nicht selbst etwas vor! Komm Du erst einmal in mein Alter. Du hast noch nichts Schlimmes erfahren in Deinem Leben!“
Sollten Sie solche Gedanken beschäftigen, weise ich Sie gern auf die Mitte des Bildes hin, wo wir erfahren, daß die kindliche Freude nicht mit dem Alter schwinden muß. Dort knien ein alter Mann und eine alte Frau. Sie betrachten das Kind. Der alte Mann hat die Hände über der Brust gekreuzt. Ein Zeichen des Erstaunens und der Ergriffenheit. Die Frau und er lächeln wie Kinder. Nicht weniger erstaunt und ergriffen ist die Frau, obwohl sie nur eine Hand zur Brust bewegt. Die andere Hand hält einen Korb. Das verhüllende Tuch ist etwas verrutscht. So gewährt uns der Maler einen Einblick in den Inhalt des Korbes. Und das mit voller Absicht.
Unser ehemaliger Küster erzählte mir, er habe einer Schulklasse gesagt, bei diesem Bild handele es sich auch um ein Osterbild. Tatsächlich befinden sich Eier in diesem Korb. Das Ei ist das Symbol für Fruchtbarkeit und Auferstehung. Daß dem Kind eine solche Gabe zur Krippe gebracht wird, ist kein Zufall. In einer unter dem Tod leidenden Welt steht dieses Kind für das Leben. Unser Gang durch das Gemälde neigt sich dem Ende zu. Ein solches Gemälde hat einen nachhaltigen Eindruck beim Betrachter hervorgerufen, wenn er sich mit einer der abgebildeten Figuren identifizieren konnte. Wenn uns dieses Bild anspricht, wo würden wir uns darin verorten? Sehen wir uns eher in den skeptisch-nachdenklichen Gestalten oder in denen, die sich so kindlich und ergriffen freuen können? Oder gefällt uns das alles ganz und gar nicht?
Und wo hat der unbekannte Meister sich gesehen? Vielleicht in den beiden alten Menschen mit ihrer kindlichen Freude, die er so auffällig in das Zentrum seines Werkes gerückt hat? In den von Zweifeln, Ungläubigkeit und von Ergriffenheit bestimmten Hirten? Oder im nachdenklichen Ernst von Maria und Josef? Vielleicht waren es auch widerstreitende Gefühle, welche die Hand des Malers bei der Schaffung seines Meisterbildes leiteten.
Jedenfalls ist diese Botschaft kein Kinderkram. Und damit gelange ich noch einmal zum Ausgangspunkt der Betrachtung, als ich rechts unten nach einem Hinweis auf den Meister suchte. Uns einen solchen Hinweis zu geben, hielt er für überflüssig. Dennoch hat er uns eine Botschaft hinterlassen.
Sie erscheint uns in Form von Ochs und Esel. Beide Tiere sind mehr als nur liebgewonnene Dekoration einer Weihnachtskrippe. Sie wollen uns ermutigen, die Botschaft vom Frieden auf Erden zu glauben und in unserem Leben zu beherzigen und weiterzutragen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Denn so heißt es beim Propheten Jesaja: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn!“ Wollen wir ihnen darin nachstehen? Gott gebe uns Einsicht und Mut, als Ochs und Esel dort zu stehen, wo wir hingehören. An die Krippe unseres Herrn.